Metamorphose

Am vergangenen Wochenende ist es mir zum ersten Mal aufgefallen: Ich habe mich verändert. Nicht unbedingt äußerlich, obwohl die zwei warmen Mahlzeiten täglich – ein Luxus, den sich viele Philippinos nicht leisten können – durchaus ihre Spuren hinterlassen haben könnten… . Auch nicht innerlich – noch immer bin ich genauso neugierig wie am ersten Tag auf dieses Land und seine Menschen und offen für immer neue Begegnungen verschiedenster Art, ob hier in Cagayan de Oro (CdO), wo ich in den vergangenen sieben Wochen die meiste Zeit verbracht habe oder auf meinen Streifzügen in die nähere und fernere grüne Umgebung dieser menschenüberlaufenen Stadt, die ich  gemeinsam mit den im Projekt tätigen ÄrztInnen  an unseren freien Wochenenden auf unterschiedliche Art erkunde. Und genau in Beziehung zu den Ärzten, welche in der Regel nur für eine kurze Zeit in CdO arbeiten und dann an andere Projektstandorte wechseln oder sich mit einem Team einheimischer Unterstützer  in das Abenteuer „Rolling Clinic“ begeben (dazu an anderer Stelle mehr…) , wird mir diese Veränderung bewusst: Ich bin inzwischen ein „alter Hase“, der den Neuankömmlingen die wichtigsten Regeln des Zusammenlebens in unserer kleinen altersgemischten Zufalls-WG nahebringt (Kaffee nachkaufen, bevor er alle wird, niemals beide Duschen gleichzeitig benutzen,  Geschirr abends abwaschen, um krabbelnden Mitbewohnern das Leben etwas zu erschweren…) und – obwohl ich zu Beginn meines Aufenthaltes durchaus berechtigt erscheinende Angst hatte, mich nie wieder zurück zu finden, sobald ich mich mehr als 100m von unserer Unterkunft entferne – ich entdecke  mein Talent zur Stadtführerin. Ich finde Spaß daran,  schnellen, Sicherheit vorgaukelnden Schrittes zu den wichtigsten Zielen der Umgebung zu führen: zum riesigen Ororama market, wo es wirklich alles zu geben scheint, was man so zum Leben braucht oder auch nicht, z.B.  einen ganz passablen Rotwein und gesalzene, mit Knoblauch geröstete einheimische Erdnüsse (…lecker!!), zum Cogon market, auf dessen oberer  Verkaufsebene unzählige Händler an ihren Ständen ebenso unzählige, für mich meist unbekannte Sorten von Obst und Gemüse anbieten oder – diese Abteilung empfehle ich, wenn überhaupt,  nur frühmorgens zu besuchen – im Untergeschoss frisch Geschlachtetes oder Gefangenes, wo der Geruch von blutigem Fleisch, vermischt mit dem von Fisch und gekochtem Reis über den immer feuchten Boden wabert. Überall wird man freundlich zum Kauf animiert – selten in mir verständlicher Sprache, nur wenige der Händler sprechen Englisch.

Ohne eine der vielen Apps zu benutzen finde ich den Weg zum einige Kilometer außerhalb des Stadtzentrums liegenden Strand wieder, wo sich am Wochenende viele Familien zum Picknick treffen und unglaubliche Mengen Essen heran schleppen, bis hin zu ganzen Schweinen, welche vor Ort gegrillt werden. Oft werden wir – meist die einzigen Europäer am Strand – in Gespräche verwickelt, und als man uns einen Topf Reis und gegrillte Hühnchenflügel an unseren Sitzplatz bringt, vergessen wir auf Grund des leckeren Duftes alle den durchaus berechtigten Satz: „Cook it, boil it, peel it  or forget it!“ und lecken uns anschließend alle 10 Finger (bildhaft!). Ich erwische das richtige Motorella zur unvermeidlichen Karaoke-Bar, wo einheimische Angestellte der German Doctors sich nach der Arbeitswoche treffen – trotz meiner anfänglichen Skepsis wird es ein sehr lustiger Abend – allerdings nehme ich Abstand davon, gegrillte „Chicken Feets “ zu kosten.

Die Stimmung in den unterschiedlichsten Teams ist  gut. Am meisten beeindrucken mich die Rolling Clinic (RC) – Teams, die lange beschwerliche Anfahrten in entlegene Gebiete auf sich nehmen, um medizinische und pharmazeutische Versorgung zu den dortigen Bewohnern zu bringen, denen es sonst kaum möglich wäre, einen Arzt aufzusuchen. Oft räumen Dorfbewohner für das Team ihr Haus und ziehen zu den Nachbarn, damit die Einsatzkräfte ein Dach über dem Kopf haben. Das Eintreffen des Arztes, der Midwife (Hebamme), welche auch als Übersetzerin fungiert sowie der Dispenser,  die für die Abgabe der ärztlich verordneten Medikamente verantwortlich sind, wird Wochen  im Voraus erwartet. Viele Patienten haben Hautinfektionen, die durch schwierige hygienische Verhältnisse begünstigt werden. In diesen abgelegenen Dörfern ist ein Schlauch  von einer entfernten Quelle irgendwo im Wald oft die einzige Wasserversorgung – nicht immer reicht er auch bis ins Dorf hinein. Das feuchtwarme Klima bietet ideale Voraussetzungen für die Vermehrung sowohl von Insekten als auch von Keimen verschiedenster Art, eine ungute Mischung, wenn die juckenden Stiche aufgekratzt werden. Viele der superinfizierten Wunden müssen mit Antibiotika aus unserer Apotheke behandelt werden.

Andere Patienten husten seit längerem – hier ist dem Verdacht auf eine Tuberkulose (Tb) nachzugehen. Bestätigt sich dieser, werden die betreffenden Patienten in ein staatliches Tb-Programm aufgenommen.

Erschreckend für mich war auf meinen bisherigen Besuchen so einer RC-Sprech“stunde“ – tatsächlich verbringen die Teams immer einen ganzen Tag an einem Ort – wie viele mangelernährte Kinder wir zu sehen bekamen. Zur Diagnosestellung verwenden die Ärzte den MUAK-Streifen, eine Art Maßband für den Oberarm, welcher mit den ermittelten Daten und einer Farbskala Auskunft über den altersgerechten Ernährungsstatus des Kindes gibt. Zeigt die Farbskala gelb  statt grün, erhalten die Mütter ein kalorienreiches Pulver sowie eine Ernährungsberatung und die Aufforderung, das Kind beim nächsten Besuch der RC wieder vorzustellen. Erscheinen sie nicht, wird nachgeforscht. Schwerer erkrankte Patienten werden in Krankenhäuser in der Umgebung eingewiesen, manchmal fährt sie ein RC-Team auch gleich selbst dort hin.

Eine andere Form der Unterstützung, die die German Doctors den Ärmsten der Armen hier geben, ist die sogenannte Mother’s Class. Ein hochengagiertes Team informiert die Familien über den Zusammenhang von Hygiene und Krankheiten, über gesunde Ernährung, Körper- und Zahnpflege und klärt auch über Schwangerschaft, Stillen und Verhütungsmöglichkeiten auf. Viele Mütter sitzen mit ihren Säuglingen auf dem Schoß unter dem schützenden Sonnendach und lauschen aufmerksam oder schreiben mit. Die älteren Kinder toben derzeit miteinander herum oder warten auf die warme Mahlzeit, die es hinterher für alle gibt, die sich in die Teilnehmerliste eingetragen haben. Zwischendurch sehe ich mich Gewissensbissen ausgesetzt: Aus einer Schale, bedeckt mit einem Bananenblatt steigt ein leckerer Duft und ich werde aufgefordert, zuzugreifen: Warme Maiskolben! Viele der Kinder schicken sehnsüchtige Blicke in Richtung der Schale, werden aber von ihren Müttern zur Ordnung gerufen. Einerseits kann ich doch unmöglich den Kindern etwas voressen, andererseits kann das Ablehnen von angebotenem Essen auch als Beleidigung aufgefasst werden. Ich greife zu, ziehe mich aber mit meinem Maiskolben hinter eine Hauswand zurück, breche ein Stück ab und reiche es einem kleinen Mädchen, welches mir gefolgt ist. Wir kauen schweigend, die kleine beäugt mich argwöhnisch. Als ich meinen Platz unter dem Dach wieder einnehme, setzt sie sich neben mich…

Mir fällt ein Kleinkind auf, welches sich in den vergangenen 2 Stunden auf dem Schoß der Mutter nicht bewegt hat. Die Mutter sieht meinen Blick und  spricht mich an. Ihr Baby sei krank, für Medikamente hätte sie kein Geld. Ich berühre den kleinen Körper, er ist glühend heiß. Wie ich es von den Ärzten gelernt habe, zähle ich die Atemzüge des Kindes pro Minute. Viel zu hoch! Ein Arzt gehört nicht zum Team der Mother’s Class, wir entscheiden, die Mutter mit insgesamt drei Kindern mit nach Cagayan de Oro zu nehmen. Mein Verdacht auf eine Lungenentzündung bestätigt sich, das 10 Monate alte Baby hat 40°C Fieber. Es bekommt Paracetamolsaft und ein Antibiotikum aus der Apotheke und der Rest der Familie Reis, Fleisch und Gemüse und bezieht Quartier im Mother’s House gegenüber der Ambulanz der German Doctors, in der sich auch die Pharmacy befindet. Bevor ich am nächsten Morgen meinen Arbeitsplatz betrete, besuche ich „meine“ kleine Patientin und bin erleichtert, sie etwas munterer zu sehen. Das war gerade noch rechtzeitig! Später muss ich immer wieder darüber nachdenken, dass die kleine Sweet Myra vielleicht nur durch einen Zufall überlebt hat. Ich bin froh, dass ich mich für diesen Einsatz entschieden habe – und hoffe, in den kommenden Wochen noch vielen Neuankömmlingen im Doctor’s House als „alter Hase“ zur Seite stehen zu können.

Unsere gemeinsame Arbeit hier ist  wichtig für so viele Menschen – mir gibt das ein ungemein gutes Gefühl…

Mit herzlichen Grüßen aus Cagayan de Oro

Ihre Apothekerin ohne Grenzen

Petra Isenhuth

 

 

 

 

 

 

Ankunft im Cagayan de Oro – Alltag

Diese Stadt scheint nie zu schlafen. Meine Nächte sind kurz nach 5 Uhr zu Ende: Spätestens dann liefern sich die Hähne der umliegenden Grundstücke ein endlos erscheinendes Wettkrähen. Ich schalte, ohne unter meinem Moskitonetz hervorzukriechen den brummenden Ventilator ein, was für kurze Zeit die Illusion von Frischluft vermittelt. Der Versuch, noch einmal einzuschlafen, scheitert meist am beginnenden Baustellenlärm auf dem Nachbargrundstück – pünktlich zum Frühstück setzt dann gefühlte 3m neben dem Tisch die Kreissäge ein. Auf dem Weg zu unseren Arbeitsplätzen zwischen den unzähligen Jeepneys (einer Art offenem Stretch-Jeep, quietschbuntes und überall anzutreffenden Hauptverkehrsmittel), Motorellas (überbautes Moped, dient dem Transport von 6-8 Personen) und verschiedenen anderen Zwei- und Vierradfahrzeugen die Strassen passierend werde auch ich inzwischen mehrfach gegrüßt – Europäer gibt es im Umfeld nur wenige und die German Doctors sind ob ihrer langjährigen Arbeit vor Ort sehr angesehen. Eine meiner ersten Beobachtungen: Wenn hier hinter mir gehupt wird, erwartet niemand wie in Deutschland, dass ich zur Seite springe. Entweder es ist eines der zahlreichen Taxis, das mir auf diese Art seine Dienste anbietet oder man kündigt durch Hupen an, dass man gleich vorbei fährt – und dies nach den häufigen Regengüsse mit großer Rücksicht auf Fußgänger!
Eine meiner ersten „Amtshandlungen“ hier war, an der Tür zur Apotheke und am Eingangstor zum Doctors House neben dem German Doctors – Logo auch das der Apotheker ohne Grenzen anzubringen, aber was ist eine noch nicht mal zweijährige Tätigkeit gegen 27 Jahre!
Wir Einsatzkräfte arbeiten von 8 – 17 Uhr, in der Mittagspause gibt es im nahegelegenen Mother’s House Mittagessen, welches aus Reis mit Gemüse und abwechselnd Hühnerfleisch oder Fisch besteht. Auf die frische Ananas oder Mango danach freue ich mich immer am meisten.
In der Apotheke war in der vergangenen Woche endlich mal wieder richtig viel zu tun, nachdem wir wochenlang auf eine große internationale Lieferung gewartet hatten. Der Ausspruch “ Warten will gelernt sein! “ trifft auf den Philippinen besonders zu. Nach mehrwöchigen Absprachen zu Bestell- und Lieferformalitäten mit unseren internationalen Zulieferern in den Niederlanden folgte eine ca. 3 wöchige Schiffspassage von Rotterdam bis in den Hafen von Cagayan de Oro, mindestens ebenso lang dauerten die Anstrengungen, alle notwendigen Papiere für die Auslösung aus dem Zoll zu beschaffen. Wiederholt gab es die Auskunft, dass noch Unterschriften oder Papiere fehlen würden. Um die wartenden Patienten dennoch versorgen zu können, werden zur Überbrückung einige Medikamente lokal eingekauft, was deutlich teurer und ebenfalls mit einigem bürokratischen Aufwand verbunden ist. Mehrfache „Stock Outs“, also Versorgungslücken mit den von den German Doctors festgelegten Arzneimitteln sind die Folge. Schon einige Male drängte sich mir der Vergleich mit den Beschaffungsschwierigkeiten für bestimmte Medikamente zu DDR – Zeiten auf, wo die Stock out – Listen „Null-Listen“ hießen und die Apotheken ihre benötigten Arzneimittel höchstens alle 2 Wochen bestellen konnten – nicht wie heute mehrmals am Tag. Natürlich stellt sich mir auch die Frage nach der Notwendigkeit solcher Lieferfrequenzen…  Als ich den philippinischen Mitarbeiterinnen  von meinem Apothekenalltag in Deutschland berichte, hören sie mit ungläubigem Staunen zu und wollen mehr über das deutsche Gesundheitssystem wissen. Eine Krankenversicherung, wie wir sie kennen, gibt es auf den Philippinen nicht, Diagnostik, Behandlungen und Medikamente sind fast immer kostenpflichtig. Programme für chronisch Kranke existieren zwar, dennoch hat vor allem die ärmere Bevölkerungsschicht oder die Landbevölkerung oft keinen Zugang dazu. Ernsthaft zu erkranken bedeutet hier immer auch das Risiko, daran zu versterben. Besonders berührt mich dabei das Schicksal der vielen kleinen Kinder. Die „Pille“ und andere Verhütungsmittel sind zwar auf den Philippinen dank eines Programmes zur Familienplanung kostenfrei erhältlich, dennoch ist Schwangerschaftsverhütung aus den verschiedensten Gründen längst nicht selbstverständlich und Abtreibung in dem weit überwiegend katholischen Land strengstens verboten. Mir wird erzählt, dass viele Frauen ihre Kinder allein großziehen, die Männer sich dem vermutlich anstrengenden Alltag entziehen und sich einer anderen Frau zuwenden. Kein Staat greift hier regulierend ein und verpflichtet zur weiteren finanziellen Versorgung der zurückgebliebenen Familie, wenn es der Ehemann und Vater nicht freiwillig tut. Überraschenderweise sind die Philippinen (neben den Vatikan…) das einzige Land auf der Erde, in dem es keine Scheidung gibt – allenfalls kann man eine Ehe annullieren lassen, was allerdings sehr teuer  und für viele unerschwinglich ist.

 

Wieder einmal bin ich froh über den Zufall, der mich in einem reichen Land wie Deutschland leben lässt und dankbar für die Möglichkeit, hier mit meiner – wenn auch nur kurzzeitigen – Tätigkeit einen ganz kleinen Beitrag dazu leisten zu können, dass es einigen Menschen vielleicht etwas besser geht. 

In diesem Sinne – bis zum nächsten Bericht – herzlichst

Ihre Apothekerin ohne Grenzen Petra Isenhuth

 

Unerwartete Avancen

Nach zwar langer (16 Stunden!) aber problemloser Anreise nach Manila mit insgesamt über 30 Kg Gepäck, woran auch einige im Projekt dringend benötigte Arzneimittel einen Anteil haben, sind die ersten Herausforderungen zu meistern: Erwerb von Zahlungsmitteln und Telefonkarte. In meinem deutschen Alltag „Vertragskunde“, ist nun ein Netzanbieter auszuwählen und eine Prepaid-Telefonkarte zu erwerben. Mit ungewohnter Selbstverständlichkeit erhalte ich technische Unterstützung vom Verkäufer und bin innerhalb von weniger als zwei Minuten noch vor Verlassen des Flughafens wieder vernetzt.

Das Umrechnungsverhältnis von zu PHP (philippinische Peso) beträgt ca. 1:50, was das Kopfrechnen in der schwülwarmen Umgebungstemperatur sehr erleichtert.

Mein erstes Telefonat gilt meinen Eltern, die meine gute Ankunft erleichtert vernehmen. Das zweite ruft den kostenfreien pickup – Service meines Quartiers für eine Nacht auf den Plan, bevor es am folgenden Tag vom selben Flughafen aus nach Cagayan de Oro, meinem Projektstandort, weiter gehen soll.

Mein Fahrer, geschätzten Alters von über 70, überrascht mich gleich nach Verladung meines Reisegepäcks mit der Frage, ob ich denn verheiratet sei. Sein vielleicht fünfjährigen Begleiter, der während der Fahrt munter durch den Transporter turnt, entpuppt sich später als sein Sohn und nicht wie vermutet als sein Enkel…

In einem fensterlosen, aber sauberen Zimmerchen schlafe ich trotz des Lärms der Klimaanlage sehr gut und überstehe am nächsten Morgen nach dem Flughafentransfer auch den versuchten Küsschen-Abschied des flotten, fast zahnlosen alten Herrn unbeschadet.

Die knapp zweistündige Weiterreise nach Cagayan de Oro vergeht sprichwörtlich wie im Fluge, und da ich mir bereits meine „Dienstkleidung“ in Form unseres weißen T-Shirts mit dem grünen „Apotheker ohne Grenzen“ (AoG) – Logo angezogen habe, bin ich für meinen Abholer schnell zu identifizieren. Thomas ist seit wenigen Wochen der verantwortliche Mediziner im German Doctors Projekt auf Mindanao, und ich stelle etwas erleichtert fest, dass ich mich zunächst nicht gegen weitere Avancen heiratswilliger Philippinos zu wappnen habe…

Während meines ersten Philippinen-Einsatzes nach dem Taifun 2013, der bei den Einheimischen nicht „Haiyan“ sondern „Yolanda“ genannt wird, waren noch viele Straßen blockiert, Benzin und Diesel eine „Goldwährung“. Jetzt beeindruckt mich der völlig ungeregelt und chaotisch fließende (was eine glatte Übertreibung darstellt…) Verkehr vor allem deshalb, weil es in Deutschland zumindest an jeder Kreuzung längst gekracht hätte. Hier wird gehupt und losgefahren und man verlässt sich darauf, dass der Hintermann schon bremsen wird. Überholt wird rechts und links, wo sich gerade eine Chance auftut. Oft gibt es keine Gehwege, so dass auch die vielen Fußgänger jede sich bietende Lücke nutzen, um zwischen der hupenden und sich langsam dahin wälzenden bunten Blechlawine vorwärts zu kommen. Gegen 15 Uhr Ortszeit (in Deutschland ist es gerade morgens um 9 Uhr) stelle ich mein Gepäck im „Doctors House“ ab und lasse mir von Thomas den ca. 10 minütigen Fußweg zu meinem Arbeitsplatz für die kommenden 3 Monate zeigen.

Maria, meine deutsche AoG-Kollegin, seit insgesamt fast 6 Monaten hier und die einheimischen Mitarbeiterinnen der Projekt-Apotheke begrüßen mich mit herzlichen Worten auf Englisch. Wie in allen Einsatzländern muss ich mich zunächst etwas an die ungewohnte englische Aussprache gewöhnen und mich „einhören“, aber ich fühle mich sofort wohl und gut aufgenommen.

Zurück im „Doctors House“ treffe ich auf weitere deutsche Projekt-Ärzte und höre bei einem leckeren Abendessen gespannt den Berichten aus den unterschiedlichen Arbeitsorten zu. Von einigen werde ich sicherlich in den nächsten Wochen berichten.

Ihre Apothekerin ohne Grenzen

Petra Isenhuth

 

 

 

Reisefieber

So langsam wird es ernst: In einer Woche geht mein Flieger nach Manila! Auf dem Bett im Gästezimmer stapeln sich Reiseutensilien. Was braucht Frau, wenn sie für 3 Monate in ein Hilfsprojekt auf die Philippinen geht? High Heels bleiben im Schrank, stattdessen bekommen FlipFlops und leichte Wanderschuhe eine Chance. Die Sicherheitsstiefel mit Steelcaps aus meinem ersten Philippinen-Einsatz auf Leyte nach dem Taifun 2013 müssen diesmal nicht mit. Sechs weiße AoG-Shirts haben sich inzwischen angesammelt, zwei pro Tag muss ich bei der hohen Luftfeuchtigkeit einplanen – zum Glück gibt es einen Waschservice im Haus. Leichte Funktionskleidung aus meinem Outdoor-Fundus – „schnell trocknend“ bekommt in der Regenzeit eine andere Bedeutung…

Um die Reiseapotheke muss ich mir nicht so viele Gedanken machen, schließlich wird das Organisieren und Verteilen von Medikamenten vor Ort meine Hauptaufgabe sein, und mit dem Ärzte-Team der German Doctors werde ich unter einem Dach wohnen. Nicht im 10-Mann-Zelt wie 2013, wo ein Moskitonetz die einzige Abgrenzung zwischen den Feldbetten darstellte…

Und doch war es trotz der schwierigen Verhältnisse damals gerade dieser erste Einsatz, der meine Entschluss entscheidend beeinflusst hat, mein „Helfer-Gen“ (welches sicherlich viele Ärzte und Apotheker haben), im Dienst von Hilfsorganisationen auszuleben. Es erdet ungemein, seine Komfortzone zu verlassen und mitzuerleben, was der tägliche „Kampf um’s Dasein“ für Familien bedeutet, die nicht in ein soziales Netz hineingeboren wurden und für die ärztliche und pharmazeutische Versorgung ohne unsere Arbeit nahezu unerreichbar wäre – nicht nur im Katastrophenfall.

Ich freue mich auf die erneute Begegnung mit diesem fernen Land und seinen freundlichen Bewohnern und auf die gemeinsame Arbeit mit Gleichgesinnten. Wenn Sie möchten, lasse ich Sie über diesen Blog während der nächsten drei Monaten gern daran teilhaben.

Herzlichst – Ihre Apothekerin ohne Grenzen Petra Isenhuth