Diese Stadt scheint nie zu schlafen. Meine Nächte sind kurz nach 5 Uhr zu Ende: Spätestens dann liefern sich die Hähne der umliegenden Grundstücke ein endlos erscheinendes Wettkrähen. Ich schalte, ohne unter meinem Moskitonetz hervorzukriechen den brummenden Ventilator ein, was für kurze Zeit die Illusion von Frischluft vermittelt. Der Versuch, noch einmal einzuschlafen, scheitert meist am beginnenden Baustellenlärm auf dem Nachbargrundstück – pünktlich zum Frühstück setzt dann gefühlte 3m neben dem Tisch die Kreissäge ein. Auf dem Weg zu unseren Arbeitsplätzen zwischen den unzähligen Jeepneys (einer Art offenem Stretch-Jeep, quietschbuntes und überall anzutreffenden Hauptverkehrsmittel), Motorellas (überbautes Moped, dient dem Transport von 6-8 Personen) und verschiedenen anderen Zwei- und Vierradfahrzeugen die Strassen passierend werde auch ich inzwischen mehrfach gegrüßt – Europäer gibt es im Umfeld nur wenige und die German Doctors sind ob ihrer langjährigen Arbeit vor Ort sehr angesehen. Eine meiner ersten Beobachtungen: Wenn hier hinter mir gehupt wird, erwartet niemand wie in Deutschland, dass ich zur Seite springe. Entweder es ist eines der zahlreichen Taxis, das mir auf diese Art seine Dienste anbietet oder man kündigt durch Hupen an, dass man gleich vorbei fährt – und dies nach den häufigen Regengüsse mit großer Rücksicht auf Fußgänger!
Eine meiner ersten „Amtshandlungen“ hier war, an der Tür zur Apotheke und am Eingangstor zum Doctors House neben dem German Doctors – Logo auch das der Apotheker ohne Grenzen anzubringen, aber was ist eine noch nicht mal zweijährige Tätigkeit gegen 27 Jahre!
Wir Einsatzkräfte arbeiten von 8 – 17 Uhr, in der Mittagspause gibt es im nahegelegenen Mother’s House Mittagessen, welches aus Reis mit Gemüse und abwechselnd Hühnerfleisch oder Fisch besteht. Auf die frische Ananas oder Mango danach freue ich mich immer am meisten.
In der Apotheke war in der vergangenen Woche endlich mal wieder richtig viel zu tun, nachdem wir wochenlang auf eine große internationale Lieferung gewartet hatten. Der Ausspruch “ Warten will gelernt sein! “ trifft auf den Philippinen besonders zu. Nach mehrwöchigen Absprachen zu Bestell- und Lieferformalitäten mit unseren internationalen Zulieferern in den Niederlanden folgte eine ca. 3 wöchige Schiffspassage von Rotterdam bis in den Hafen von Cagayan de Oro, mindestens ebenso lang dauerten die Anstrengungen, alle notwendigen Papiere für die Auslösung aus dem Zoll zu beschaffen. Wiederholt gab es die Auskunft, dass noch Unterschriften oder Papiere fehlen würden. Um die wartenden Patienten dennoch versorgen zu können, werden zur Überbrückung einige Medikamente lokal eingekauft, was deutlich teurer und ebenfalls mit einigem bürokratischen Aufwand verbunden ist. Mehrfache „Stock Outs“, also Versorgungslücken mit den von den German Doctors festgelegten Arzneimitteln sind die Folge. Schon einige Male drängte sich mir der Vergleich mit den Beschaffungsschwierigkeiten für bestimmte Medikamente zu DDR – Zeiten auf, wo die Stock out – Listen „Null-Listen“ hießen und die Apotheken ihre benötigten Arzneimittel höchstens alle 2 Wochen bestellen konnten – nicht wie heute mehrmals am Tag. Natürlich stellt sich mir auch die Frage nach der Notwendigkeit solcher Lieferfrequenzen… Als ich den philippinischen Mitarbeiterinnen von meinem Apothekenalltag in Deutschland berichte, hören sie mit ungläubigem Staunen zu und wollen mehr über das deutsche Gesundheitssystem wissen. Eine Krankenversicherung, wie wir sie kennen, gibt es auf den Philippinen nicht, Diagnostik, Behandlungen und Medikamente sind fast immer kostenpflichtig. Programme für chronisch Kranke existieren zwar, dennoch hat vor allem die ärmere Bevölkerungsschicht oder die Landbevölkerung oft keinen Zugang dazu. Ernsthaft zu erkranken bedeutet hier immer auch das Risiko, daran zu versterben. Besonders berührt mich dabei das Schicksal der vielen kleinen Kinder. Die „Pille“ und andere Verhütungsmittel sind zwar auf den Philippinen dank eines Programmes zur Familienplanung kostenfrei erhältlich, dennoch ist Schwangerschaftsverhütung aus den verschiedensten Gründen längst nicht selbstverständlich und Abtreibung in dem weit überwiegend katholischen Land strengstens verboten. Mir wird erzählt, dass viele Frauen ihre Kinder allein großziehen, die Männer sich dem vermutlich anstrengenden Alltag entziehen und sich einer anderen Frau zuwenden. Kein Staat greift hier regulierend ein und verpflichtet zur weiteren finanziellen Versorgung der zurückgebliebenen Familie, wenn es der Ehemann und Vater nicht freiwillig tut. Überraschenderweise sind die Philippinen (neben den Vatikan…) das einzige Land auf der Erde, in dem es keine Scheidung gibt – allenfalls kann man eine Ehe annullieren lassen, was allerdings sehr teuer und für viele unerschwinglich ist.
Wieder einmal bin ich froh über den Zufall, der mich in einem reichen Land wie Deutschland leben lässt und dankbar für die Möglichkeit, hier mit meiner – wenn auch nur kurzzeitigen – Tätigkeit einen ganz kleinen Beitrag dazu leisten zu können, dass es einigen Menschen vielleicht etwas besser geht.
In diesem Sinne – bis zum nächsten Bericht – herzlichst
Ihre Apothekerin ohne Grenzen Petra Isenhuth
Hallo Petra,
die ersten Berichte klingen sehr spannend und sofort weiß man wieder den Luxus, der einem oft nicht bewusst ist, hier zu Hause in Deutschland zu schätzen.
Ich wünsche dir eine tolle Zeit und bin mir sicher, dass du wertvolle Hilfe leisten wirst.
Viele Grüße von der Ostsee
Jochen Wenzel